17. Juni 1953



Befreit und Ausgerottet


Aus dem Buch meines Großvaters



Hier ein Auszug aus der Biographie meines Großvaters, Karlheinz Oehler (14.12.1915 - 07.02.2006), zum Nachkriegsgeschehen in der DDR, im Buchhandel erhältlich unter dem Titel Befreit und Ausgerottet (ISBN 3 86118 086 3). Er hat in seinem Erlebnisbericht über die Vernichtung des Bürgertums und des freien Bauern in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945-1953 geschrieben. Als Auszug angeführt sei hier das Kapitel um den 17. Juni 1953 in Jena.

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Kapitel 7: Der 17. Juni & Flucht nach Berlin

Dann kam es zu den Ereignissen um den 17. Juni 1953. Ich hatte schon erwähnt, daß die Bevölkerung immer selbstbewußter und das System immer unsicherer wurde. Für uns lag schon seit Wochen etwas in der Luft, wenn auch die Ereignisse am 17. Juni in ihrer dramatischen Wucht doch unerwartet kamen. Am 16. Juni abends hörten wir zu Hause im Radio von den Ereignissen in Berlin, vom Marsch der Hennigsdorfer Stahlarbeiter und den sich anschließenden Demonstrationen. Wir waren wie elektrisiert. Die Telefone gingen, um die Lage zu besprechen, ohne daß wir aber zu konkreten Entscheidungen kamen. Am nächsten Morgen suchte ich von der Kanzlei aus politische Freunde auf, um unser Vorgehen zu besprechen. Vorher hatten mich von den umliegenden Dörfern aus Bauern angerufen, die ebenfalls Richtlinien für Aktionen haben wollten. Wir vereinbarten, daß die Bauern zusammengetrommelt werden sollten, um mit ihren Traktoren am Holzmarkt in Jena aufzumarschieren, Das hatte ich aber nicht erwartet: Als ich auf dem Rückweg zu meiner Kanzlei am Holzmarkt war, um die vorbereiteten Aktionen abzuwarten, kamen bereits lange Demonstrationszüge der Zeisswerke, der Schottwerke, voran die Professoren so wie das Reichsbahnausbesserungswerk. Alles strömte auf dem Holzmarkt zusammen, die Dinge nahmen ihren Lauf. Es wurden Reden gehalten, aber nichts war vorbereitet oder organisiert. Ich schreibe heute, am 17. Juni 1996, aber die Ereignisse von damals stehen mir wie gestern vor den Augen. Ich berichte nur, was ich selbst miterlebt habe. Die Masse setzte sich nunmehr zum Gerichtsgefängnis und zum Amtsgericht in Bewegung. Unterwegs wurde noch das Haus des FDGB, in der Nähe des Johannistores gestürmt. Vor dem Gefängnis erschien ein Mannschaftswagen mit Volkspolizei. Die Polizisten wurden heruntergezogen, sie zogen zum großen Teil freiwillig ihre Uniformen aus, die dann durch die Menge flogen. Der Einsatzwagen wurde umgekippt. Dann war plötzlich ein langer Rammbock da, mit dem das Tor zum Gefängnis aufgebrochen wurde. Aus den umliegenden Häusern, die von Rotarmisten belegt waren, schauten die Russen verwundert und interessiert dem Treiben zu, ohne einzugreifen, da offensichtlich ein Eingreifbefehl noch nicht vorlag, denn die Ereignisse kamen auch für die Besatzungsmacht zu unerwartet. Im Gefängnis leisteten die Justizbeamten keinerlei Widerstand und gaben freiwillig die Schlüssel zu den Zellentüren heraus. Die Gefangenen, alle aus politischen bzw. wirtschaftspolitischen Gründen inhaftiert, wurden im Triumphzug herausgetragen. Sie wurden mit Blumen empfangen. Woher die so plötzlich kamen war mir unerklärlich. Es handelte sich fast ausschließlich um Mandanten, die ich verteidigt oder noch zu verteidigen hatte. Sie erkannten mich und fragten, was sie nun tun sollten. Ich war mir auch nicht im Klaren, wie die Dinge weiterlaufen würden und empfahl ihnen, sich zunächst in Sicherheit zu bringen und von der Bildfläche zu verschwinden. Anschließend wurde noch das Gefängnis des Staatssicherheitsdienstes gestürmt und die dort vegetierenden Häftlinge befreit. Dabei war ich aber selbst nicht anwesend. Ich zog mich in meine Kanzlei zurück, wo ich mit einigen Männern, die mir politisch vertraut waren, beriet, wie der Verlauf der Dinge gelenkt werden könne.

Die Ereignisse nahmen jedoch ihren Lauf, ohne daß sie sich lenken ließen. Zunächst strömten die Massen wieder auf dem Holzmarkt zusammen. Gegenüber meiner Kanzlei im Schwarzen Adler Befand sich in einem ehemaligen Cafehaus die SED Kreisleitung. Zu ihrem Schutz waren inzwischen etwa zwei Dutzend Soldaten der Roten Armee aufgeboten worden, Die sich vor den Eingängen postierten. Die Stimmung der Massen steigerte sich. Die Rotarmisten wurden zurückgedrängt. Ihnen blieb unter dem Druck der Tausenden nichts übrig, als sich immer weiter zurückzuziehen. Nach etwa einer halben Stunde war das ganze Gebäude in der Hand der Demonstranten. Aus den obersten Stockwerken wurden die dort lagernden Karteien und Papiere aus den Fenstern geworfen, ebenfalls die dort lagernden Waffen, besonders Gewehre. Bezeichnend war jedoch, daß sich die Massen nicht damit bewaffneten. Die Gewehre wurden vielmehr zerschlagen. Von Funktionären der Partei war nichts zu sehen. Die hatten sich alle verkrochen, nachdem am Vormittag einige verprügelt und andere eingesperrt worden waren. Mit Mühe und Not konnte verhindert werden, daß einer der Schlimmsten, der Direktor des Kreisgerichts Jena Stadt, ein ehemaliger Zeissarbeiter, an einem Laternenpfahl aufgehängt wurde. Etwa gegen 16 Uhr, ich kann mich in der Uhrzeit irren, erschien ein voll mit Rotarmisten besetzter Panzermannschaftswagen. Als die Mengen unruhig zu werden drohte und an den Rändern der Massen einige zurückwichen, erschallten vom Kern her Sprechchöre: Aushalten, aushalten, aushalten. Die Massen stimmten ein, die Tausende schlossen sich eng zusammen. Die Panzerwagen fuhren in die Massen hinein, die sich hinter ihnen wieder zusammenschloß. So standen die Wagen eingekeilt von den Tausenden, die Rotarmisten mit angelegten Maschinenpistolen. Die Massen waren inzwischen auf über 10000 angeschwollen. Sie erstreckten sich über die Zufahrtsstraßen bis zum Markt. [...] Mir war klar, daß die Russen es nicht bei ihrem Rückzug bewenden lassen würden, sondern daß mit einem massiveren Einsatz gerechnet werden mußte, und so kam es auch.

Es mochte so eine Stunde nach dem Rückzug sein, da näherten sich aus Richtung Paradiesbahnhof eine ganze Panzerkolonne. Man hörte schon von weitem das mir bekannte Mahlen der Panzerketten. Ich hatte immer noch einige Leute um mich. Ein kurzer Entschluß wurde gefaßt. Mitten auf dem Holzmarkt stand ein verlassener Straßenbahnzug, da ja auch die Straßenbahner seit den Morgenstunden ihre Arbeit niedergelegt hatten. Wir sprangen auf den Straßenbahnzug und fuhren Richtung Paradiesbahnhof, den Panzern entgegen. Kurz vor dem Aufprall auf den ersten Panzer sprangen wir ab. Der Straßenbahnwagen prallte auf, legte sich quer über die schmale Straße, der Panzer verfing sich mit seinen Ketten in dem querliegenden Wagen, er konnte weder vorwärts noch rückwärts weiterkommen. Die Panzer waren zunächst aufgehalten. Es verging eine ganze Zeit, es war schon abends, da kamen die Panzer erneut, diesmal aus Richtung Saalebahnhof. Jetzt gab es kein Aufhalten mehr. Wir hatten aber viel Zeit gewonnen und die Männer im Gebäude der SED-Kreisleitung konnten in Ruhe das besetzte Haus räumen. Wie das alles weiterlief sehe ich nur noch verschwommen. Die Panzer gingen in Stellung, es wurde geschossen, ein Lazarettzelt wurde aufgebaut, Menschen wurden wahllos festgenommen und auf Lastwagen gezerrt und weggefahren. Rings um den Holzmarkt gingen Maschinengewehre in Stellung, die ganze Innenstadt wurde abgeriegelt. Wer sich noch sehen ließ wurde festgenommen. Es fing schon an dunkel zu werden, den Schwarzen Adler mit Ausgang zum Holzmarkt konnte ich nicht verlassen. Über das Dach und die anliegenden Häuser konnte ich schließlich das Freie erreichen und schlich mich auf Umwegen aus der Stadt, in der inzwischen der Ausnahmezustand herrschte.

Die nächsten Tage vergingen zwischen Ungewißheit, Hoffnung und Enttäuschung; Enttäuschung vor allem über die Haltung des Westens. In Jena streikten noch tagelang die großen Betriebe wie Zeiss, Schott und REW. Eine an den Rias herangetragene Bitte, einen Aufruf zum Generalstreik durchzugeben wurde ignoriert. Die westlichen Staatsmänner hüllten sich in Schweigen. Schließlich gab Jakob Kaiser, der Gesamtdeutsche Minister eine Erklärung ab, in der es hieß: Wir wissen den Sinn Eurer Aktionen zu würdigen, bitten Euch aber im Vertrauen auf unsere Solidarität alle weiteren Aktionen zu unterlassen, wir sind dabei, die deutsche Einheit auf dem Verhandlungswege herbeizuführen. Das war nicht wahr. Nichts, aber auch gar nichts wurde unternommen, man wollte nur in Ruhe gelassen werden. Im Vertrauen auf die Erklärung Jakob Kaisers ebbten nunmehr alle Aktionen ab. Die mitteldeutschen Arbeiter waren bereit zum Generalstreik. Auf Grund der dann entstandenen Lage hätte der Westen dann ernsthafte Verhandlungen fahren müssen. Für die Sowjets bestand die Gefahr, daß die Aufstandsbewegung sich auf die Satellitenstaaten ausdehnte. Polnische Arbeiter waren bereits zu Sympathiekundgebungen an der Grenze aufmarschiert. In Jena ließ sich noch tagelang kein SED-Funktionär sehen oder hören, auch die SED-Presse erschien mehrere Tage nicht.

Schließlich setzten auf Grund vorhandener Fotografien systematisch Verhaftungen ein. Ich schlief nachts nicht mehr zu Hause sondern verbrachte die Nächte bei Bekannten. Mit meinem Büro hatte ich vereinbart, daß bei Gefahr eine Briefwaage ans Fenster gestellt werden sollte. Mein Wirt, Herr Tröbst, hatte mir auf dem Boden ein Hinterzimmer zur Verfügung gestellt, wo ich vertraulich Mandanten empfangen konnte. Ich behielt Verbindung mit meinen politischen Freunden und wir hofften alle noch, daß auf Grund der Zusicherungen von Jakob Kaiser doch noch eine Wende eintreten würde. Eines Tages schließlich wurden meine engsten Mitstreiter verhaftet. Nun war mir klar, daß ich der nächste sein würde. Noch aber wollte ich die DDR nicht verlassen. Ich mußte mich aber in Sicherheit bringen. Als ich abends nach Hause kam, trafen wir die nötigen Entscheidungen. Mein Bürovorsteher Herr Puschner, ein treuer und zuverlässiger Mitarbeiter, kam zu uns heraus und wurde eingeweiht. Von meinem Kollegen v. Tümpling erhielt ich eine Adresse bei einer Frau v. Steben in Ferch am Schwielowsee unweit der Zonengrenze, wo v. Tümpling selbst vier Wochen später seinen Urlaub verbringen wollte. Die Kinder wurden noch in der Nacht zur Mutter nach Schorba gebracht. Dann nahmen wir uns noch nachts eine Taxe und ließen uns nach einer kleinen Bahnstation außerhalb Jenas, ich glaube es war Kunitzburg, bringen. Wir hatten nur leichtes Urlaubsgepäck mit den Badesachen bei uns. Da ich ohnehin im Juli in Urlaub fahren wollte, hatte ich mir bereits längere Zeit vorher einen amtlichen Vertreter bestellen lassen, der nun von meinem Bürovorsteher gebeten wurde, sein Amt einige Tage früher anzutreten. In den frühen Morgenstunden fuhren wir mit dem ersten Zug in Richtung Berlin. In Jüterbog hatte der Zug Aufenthalt. Wir wurden von der Volkspolizei mit unserem Gepäck aus dem Zug geholt, in eine Wachstube gebracht und dort vernommen. Unser Gepäck wurde durchsucht, es wurden Telefongespräche geführt. Schließlich nahm man uns es ab, daß wir nur auf Urlaub fahren wollten, was ja auch durch den Inhalt unseres Gepäcks bestätigt wurde. Offensichtlich standen wir noch nicht in der Fahndungsliste. Wir wurden wieder zu dem Zug gebracht, der in Jüterbog einen längeren Aufenthalt hatte, man trug uns sogar unsere Koffer zum Zug. Wir kamen jedenfalls, nachdem wir vor Berlin noch einmal umgestiegen waren ohne weitere Komplikationen in Ferch an, und wurden in der kleinen Pension der Frau v. Stegemann freundlich aufgenommen. Polizeilich haben wir uns natürlich nicht angemeldet, obwohl das für Frau v. Stegemann ein gewisses Risiko war. In Ferch verbrachten wir am Schwielowsee einen wunderschönen Urlaub, unseren letzten in der DDR. Von meinem Bürovorsteher Puschner wurde ich regelmäßig über die Entwicklung in Jena und den Fortgang der Kanzlei unterrichtet. Nach vier Wochen sollten wir von meinem Kollegen v. Tümpling mit seiner Frau abgelöst werden. Wir wollten dann wieder zurückfahren in der Hoffnung, daß sich die Lage beruhigt haben würde. Es sollte aber anders kommen. Kurz vor Urlaubsende bekam ich plötzlich Fieber verbunden mit starken Herzrythmusstörungen. Wir konnten also an dem vorgesehenen Tag nicht abfahren. So kam es, daß uns die v. Tümplings noch antrafen. Sie erklärten uns, daß wir auf keinen Fall nach Jena zurückfahren könnten. Es hingen nämlich Plakate aus, wo nach dem "Volksverräter Oehler" gesucht wurde. Ich war inzwischen wieder auf den Beinen, wenn auch noch etwas wackelig. Nach kurzer Beratung entschlossen wir uns, uns nach Westberlin abzusetzen. Es war ein harter Entschluß, aber es blieb uns gar nichts anderes übrig. So fuhren wir, die Badesachen über dem Arm, mit der S-Bahn nach Westberlin. Es war ein mulmiges Gefühl, denn die S-Bahn, die damals noch durch ganz Berlin fuhr, wurde ständig von Volkspolizei auf DDR-Bewohner überprüft. Ich war bereits bei einem früheren Besuch in Westberlin aus der Bahn geholt worden, und man hatte mir ein Paar Schuhe abgenommen, die ich in Westberlin gekauft hatte. Unser Schutzengel stand uns jedoch bei. In der ersten Station auf Westberliner Gebiet, ich glaube es war Zehlendorf West, stiegen wir unbehelligt von Kontrollen aus.

Wir suchten zunächst meine Tante Lore, Vaters Schwester auf, die mit ihrem Mann, dem Bildhauer Paul Otto, in Zehlendorf lebte und dort ein Häuschen auf einem schönen großen Grundstock hatte. Wir wurden freundlich aufgenommen und eingeladen, vorerst bei ihnen unterzukommen. Wir bekamen ein kleines Zimmerchen, wo wir uns einrichteten und solange bleiben wollten, bis wir das lästige Notaufnahmeverfahren hinter uns gebracht hätten. Liselotte hatte jedoch keine Ruhe. Sie machte sich Sorgen um die Kinder. Mutter war inzwischen mit den Kindern in unsere Wohnung in Jena gezogen, wo ja auch noch unser Hausmädchen Maria die Stellung hielt. Trotz großer Bedenken machte sich Liselott auf den Weg, um in Jena die Kinder zu holen. Sie fuhr auf dem gleichen Wege zurück, wie wir gekommen waren, stieg nachts in Kunitzburg aus und fuhr mit der Taxe zu unserer Wohnung. Mit Gabriele, genannt Gobi, die damals erst ein halbes Jahr alt war, trat sie die Rückreise an. Sie hatte eine Nacht damit verbracht, Geldscheine, die wir zu Hause versteckt hatten, zu bügeln, um sie in die Lehne des Kindersportwagens zu stopfen, nachdem sie vorher das Polster entfernt hatte. Für uns verging eine bange Zeit des Wartens bis Liselotte wieder wohlbehalten und erschöpft mit Gobi bei uns eintraf. Dagmar wollte die mit uns befreundete Müllerin Else Kecke aus Bucha nachbringen. Nach wenigen Tagen kam denn auch Else und brachte uns Dagmar. So war die Familie wieder wohlbehalten und in Sicherheit zusammen. Liselott half Tante Lore tüchtig mit im Haushalt und Onkel Paul bei den Steinmetzarbeiten. Im übrigen verbrachten wir fast den ganzen Tag im Notaufnahmeverfahren, wo wir uns täglich anstellen mußten, um die erforderlichen Stempel zu erhalten. Dabei wurde uns erst allmählich klar, daß wir laufend von den englischen, französischen, amerikanischen und anderen Nachrichtendiensten vernommen wurden, nicht etwa, wie wir zunächst annahmen, um unsere persönlichen Fluchtgründe zu überprüfen, sondern um allgemein Informationen über die DDR zu erhalten. Bei dem großen Flüchtlingsandrang, es kamen damals täglich Tausende, zog sich dieses Verfahren mehrere Wochen hin.

Ich weiß nicht, wie man auf mich kam, jedenfalls wurde ich eines Tages eingeladen, an einer Vereinigung teilzunehmen, die sich "Komitee 17. Juni" nannte. Dieses Komitee war vorwiegend von Streikführern aus der DDR gegründet worden, ich sollte den Vorsitz übernehmen und wurde kurz darauf auch zum Vorsitzenden gewählt. Wir mieteten Räume im Zentrum von Berlin und waren dort Anlaufstelle für Journalisten aus aller Herren Länder. Natürlich war ich als Vorsitzender in erster Linie gesuchter Interviewpartner, aber auch andere Mitglieder wurden zu Interviews herangezogen. Ich selbst trat im deutschen Fernsehen und in Radiosendungen auf, aber auch im BBC, wo ich in Englisch an einem Gespräch mit dem Historiker Bullock, der eine Hitlerbiographie geschrieben hatte, teilnahm. Mit den Honoraren aus diesen Interviews finanzierten wir in erster Linie unsere Tätigkeit. Ziel unserer Arbeit war es, mit den führenden politischen Oppositionskräften Verbindung zu halten, den Widerstand zu koordinieren und im Westen durch Aufklärung über die DDR und die Möglichkeiten der Opposition tätig zu sein sowie propagandistisch für die Wiedervereinigung zu wirken. Es blieb nicht aus, daß alle in Berlin wirkenden Geheimdienste sowie die politischen Parteien Einfluß auf uns zu gewinnen versuchten. So wurde ich zu einer Gartenparty zu einem Herrn Götz, dem Geschäftsführer der Liga für Menschenrechte, in seine Villa am Wannsee eingeladen. Er soll, wie ich erst danach erfuhr, gleichzeitig der Resident des französischen Geheimdienstes in Berlin gewesen sein. Anwesend war unter anderem auch Jakob Kaiser, der Minister für Gesamtdeutsche Fragen, wie sein Ministerium damals noch hieß. Ich saß mit ihm im Garten zusammen und informierte ihn über unsere Arbeit und trug ihm meine Gedanken für eine zukünftige Arbeit für die Wiedervereinigung vor. Er zeigte sich sehr aufgeschlossen. Da wurde ich plötzlich zum Telefon ins Haus gerufen. Dort erklärte man mir unverblümt, das Telefongespräch sei nur eine Finte, man habe es nicht so gern, daß ich auf Jakob Kaiser Einfluß nehmen könnte. Danach war natürlich mein Platz neben dem Minister besetzt und ich hatte keine Gelegenheit mehr, außer bei der Verabschiedung, weiter mit ihm zu sprechen. Es wimmelte damals in Berlin ja nur so von Geheimdiensten und ich hatte oft meine liebe Not, meine Mitarbeiter, die der Versuchung sich interessant zu machen mitunter nicht widerstehen konnten, vor unüberlegten Kontakten und Aktivitäten zurückzuhalten. Unterstützt und beraten wurde ich vor allem von Dr. Rainer Hildebrand, dem ehemaligen Leiter der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit". Ich war wiederholt bei ihm in seiner Villa am Schlachtensee zuweilen auch mit Liselotte eingeladen. Er schrieb damals an einem Büchlein über den 17. Juni in der DDR und holte sich seine Informationen vorwiegend von den Mitgliedern unseres Komitees. Ein Exemplar des fertiggestellten Büchleins hat er mir bei meinem Weggang von Berlin mit einer persönlichen Widmung vermacht. Kontakte hatte ich auch mit dem "Bund Freiheitlicher Juristen" in Zehlendorf-West. Es wurden gegenseitig Erfahrungen und Informationen ausgetauscht. Wir haben auch eine Großveranstaltung in Berlin durchgeführt, die in der Presse starke Beachtung fand. Mir liegen noch heute einige Pressefotos von dieser Veranstaltung vor. So ergab es sich, daß ich fast den ganzen Tag unterwegs war. Die in Berlin nicht geringen Strecken legte ich mit einem Damenfahrrad zurück, das mir Tante Lore zur Verfügung gestellt hatte.


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